Heiligabend in Sinstorf um 1930

Die Pastorentochter des sinstorfer Pastors Theodor Hermann Paul Freytag erzählt aus ihrer Kindheit und läßt uns hier an ihrem Erlebnis des Heiligabend um 1930 teilnehmen. Mit freundlicher Genehmigung der Tochter folgt nun eine Geschichte aus dem Lebenslauf ihrer Mutter, Frau Margarete Anna Maria Freytag:

"Die Zeit schien stillzustehen, und es wollte und wollte nicht Abend werden. Endlich war es so weit, daß meine Mutter uns mit Lotti zusammen zum Weihnachtsgottesdienst in die Kirche schickte, in der ein riesiger Lichterbaum seinen Glanz verbreitete.

Auch die Kerzen an den Kronleuchtern brannten heute, und es herrschte eine feierliche Stimmung in der Kirche. Mein Vater verlas das Weihnachtsevangelium, danach setzte die Orgel ein und die Kirchgänger sangen das Lied "Es ist ein Ros' entsprungen aus einer Wurzel zart".

Nun stieg mein Vater auf die Kanzel, und ich ärgerte mich über ihn, weil seine Predigt kein Ende zu nehmen schien. Weshalb sprach er nicht einfach etwas schneller, um eher fertig zu werden?

Der Gottesdienst war schließlich beendet und Lotti ging mit uns nach Hause.

Wir warteten ungeduldig auf meinen Vater, der jeden Besucher persönlich an der Kirchentür verabschiedete und anschließend noch einmal nachprüfte, ob alle Kerzen am Baum, in den Kronleuchtern und auf dem Altar erloschen waren. Erst dann kam er, und unserer Zeitrechnung nach brachte er noch wenigstens eine Stunde mit Händewaschen und Umziehen zu, ehe er endlich nach oben zu meiner Mutter in das Weihnachtszimmer ging. Wir Kinder und Lotti standen auf dem dunklen Flur und warteten gespannt auf das Klingelzeichen.

Nun erklang eine Weihnachtsglocke, die Tür öffnete sich, und wir traten in das von vielen Kerzen festlich erleuchtete Zimmer. Der Weihnachtsbaum erstrahlte im vollem Glanze seiner Lichter, und die Krippe, von vielen Kerzen sanft erleuchtet, verbreitete eine feierliche Stimmung im Weihnachtszimmer. Ohne die Krippe konnten wir uns den Heiligabend nicht vorstellen. Vor der Bescherung aber mußten wir an der Krippe erst das Lied "Ihr Kinderlein kommet" mit seinen vielen Strophen und anschließend unter dem Christbaum "O Tannenbaum, o Tannenbaum" singen. Hans, Paule, Lotti und ich sangen diese Lieder ganz schnell, weil wir die Zeit bis zur Bescherung nicht mehr abwarten konnten. Dann stürzten wir uns auf die bescheidenen Geschenke, packten diese jedoch langam aus, um die Vorfreude noch etwas länger zu genießen. Der Heiligabend war immer der schönste Tag des Jahres für uns Kinder."

Kommentare

1. Am Samstag, 23 Dezember, 2017, 16:40 von AirdrieCa

Irre schön. Gute Geschichte.Diese Website bringt endlich kulturelle Geschichten aus der Zeit unserer Groß- und Urgroßeltern.
Macht mal so weiter bei der BEISINS.
Freue mich schon auf die nächsten Beiträge.
AIRDRIEca

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