Die verborgene Hastedtvilla

architektonischer Denkmalschutz in Sinstorf und ein Besuch am Nachmittag. 1760 erwarb der Harburger Bürger, Senator und Brauereibesitzer Wilhelm Hastedt von der Familie Johann Meyer den Hof. Die meiste Zeit des Jahres hält sich die vornehme Villa aus dem Anfang des vorletzten Jahrhunderts (zur Kaiserzeit, um 1880) hinter hohen Hecken und alten Bäumen im Winkeleck zwischen der vielbefahrenen Winsener Straße und dem weit ruhigerem Sinstorfer Kirchenweg verborgen. Die Villa des "Gut Haststedt" steht

zusammen mit den umliegenden landwirtschaftlichen Nebengebäuden wie Pferde.- und Schweinestall, einer Scheune aus der Gründerzeit, der Gärtnerei sowie das ehemalige Verwalterhaus seit 2004 unter Denkmalschutz. Im Osten wird das Gut durch den Feuerlöschteich begrenzt, welcher sehr idyllisch zwischen besagtem Gut und den Schrebergärten der Sinstorfer Kirchengemeinde liegt und zu dessen Füßen sich auch das älteste, noch genutzte Spritzenhaus Hamburgs befindet, welches ebenfalls denkmalgeschützt ist.

Nach dem eisernen Tor führt ein von Linden gesäumter Kopfsteinpflasterweg von der Winsener Straße direkt auf das ehemalige Verwalterhaus zu. Unser Besuch bei Frau Ursula Haststedt führte uns jedoch via einer kleinen, unscheinbaren Gartenpforte mit leider putzmittelresistenter Graffiti direkt zur schönen Villa aus der Jahrhundertwende. Wir werden an der Gartenpforte empfangen. Es ist hamburger Schietwetter, und der sandige Weg ist völlig aufgeweicht. Das letzte Stückchen kürzen wir über den Rasen ab, "Seien Sie vorsichtig, die Krokusse!" ermahnt uns Frau Hastedt. Krokusse, die sich in dieser Jahreszeit kaum mit ihren ersten Blattspitzen hervorgewagt haben und noch schwer auszumachen sind. Frau Hastedt liebt Blumen sehr.

Zunächst stehen wir im Flur, der mit schönen originalerhaltenen Fußbodenkacheln aus dem 19. Jahrhundert gefliest wurde und ziehen unsere Schuhe aus. Ein zwei Stufen geht es hoch und unser Blick fällt sogleich auf das Modell einer von Pferden gezogenen Bierkutsche. Alles ist hell und licht, weiß mit hanseatischem blau.

Frau Hastedt führt uns durch die gegenüberliegende Tür in einen weiteren Flur, von dem ihre kleine warme Küche, eine zweite Tür (was sich dahinter verbirgt, werden wir am Ende erfahren) und ein großer Saal abgehen. Letzterer mit respektabler Deckenhöhe von über 4 Metern verfügt zudem über einen geräumigen Anbau, welcher zur Straßenseite liegt. Hier steht ein weißes Klavier mit blau abgesetzten Rändern an der Wand, an dem sich stilvoll die restliche Einrichtung dieses als Speiseraum genutzen Teiles orientiert.

Ein beeindruckender Steinwayflügel, platziert zwischen zwei hohen Fenstern, dominiert den Saal. Kein Stäubchen ist auf der blanken Fläche zu sehen. Am Flügel stehend, erzählt uns Frau Hastedt von ihrem Vater und weist dabei auf ein gerahmtes schwarzweiß Foto auf dem drei Herren, ein Steinway-Flügel und ein weiterer Herr zu sehen sind. Ihr Vater mit Rubinstein, dem Pianisten! 

Das angrenzende Kaminzimmer eröffnet durch eine breite Fensterfront den Blick auf den Sinstorfer Löschteich mit dem dahinter liegenden Gemeindehaus. An der Wand hängt ein großes Gemälde von ihrem verstorbenen Mann, Dr. Wilhelm Hastedt, welches selbigen als Knabe in Krachledernen mit verklärt-ernster Miene zeigt. Wir erfahren, wie es zu diesem Bild kam und warum eine Scherbe im Knie des jungen Hastedt diesen vor dem Einzug in den Krieg bewahrte. Er stolperte nämlich auf schneebedecktem Wege und stürzte mit dem Knie auf eine zerschlagene Bierflasche. Dabei verletzte er sich ganz bös das Knie. Es war noch dazu die Scherbe einer Bierflasche aus der Produktion seines Vaters! Glücklicherweise mußte nichts amputiert werden. Vor dem Gemälde mit der wundersamen Geschichte steht zu seinem Angedenken ein Tischchen mit Pfeifen, welche er in späteren Jahren gerne rauchte. 
Frau Hastedt spricht mit viel Liebe über ihren verstorbenen Ehemann, den Herrn Dr. Wilhelm Hastedt, einem Internisten, dessen Vater Wilhelm Hastedt 1867 die Brauerei am Hang des Schwarzenbergs an der Buxtehuder Straße gründete. Harburger kennen die Straße, die nach ihm benannt wurde: den Hastedtplatz.
Wir sind ganz erschlagen von soviel Prominenz, und das sollten noch nicht alle gewesen sein.

Mittlerweile stehen wir vor einem langen, verglasten Bücherschrank von ca. 1,60 m Höhe voller kostbarer Schmuckbände.  "Also, der Bismarck", fährt Frau Hastedt fort, "wenn der Hastedt, der Senator aus Berlin kam, dann hielt der Zug in Friedrichsruh, die königliche Kutsche kam und er hat mit dem Bismarck gesprochen, und dann hat der Bismarck ihm gesagt: Hastedt, ich möchte Ihnen das "von" geben. Und da hat er gesagt: "Danke, ich brauche es nicht, ich habe mir alles selbst erarbeitet." Sie schlägt ein Buch aus der Reihe "Bimarckbiografien" voller Verzierungen, Namen und Wappen auf und läßt uns einen Blick hinein werfen. Diesen Bücherschrank erwarb ihr Mann von seinem ersten Geld nach dem Krieg.

"So, und jetzt zeige ich Ihnen noch mein Kostbarstes!" macht Frau Hastedt uns neugierig auf das, was nun kommt. Sie öffnet die kleine Türe neben ihrer Küche, die wir ganz zu Anfang schon sahen. Es handelt sich dabei um ein kleines, aber sehr stilvoll eingerichtetes stilles Örtchen - ein Traum von zartem Blümchendekor aus Frankreich. Hellblaue und rosa Blüten ranken innen und außen am Waschbecken herum, Kacheln mit gleichem Dekor umrahmen den Spiegel. Die Halterungen aus Porzellan für die Zahnputzbecher wiederholen das Muster und die Vorhänge, Wattesäckchen, einfach alles ist in diesem Muster aus Frankreich eingerichtet. "Ihr Mann" so kommentiert sie, "musste einmal nach Texas, und als er wieder nach Hause kam, da habe er gestaunt!" wir staunen auch.

Auf dem Nachhauseweg klingt Willem und mein Erstaunen noch nach, ob all der Details dieses Hauses, die Geschichten und Erinnerungen verströmen, an denen uns Frau Hastedt, eine charmante Dame, der man ihr Alter überhaupt nicht ansieht, so offen und herzlich Anteil nehmen ließ. Herzlichen Dank dafür.

Frau Ursula Hastedt ermöglichte 2018 zum wiederholten Male Musikprojekte zur Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten von Kindern und Jugendlichen, indem sie freundlicherweise Teile Ihres Anwesens und Räumlichkeiten für Ton.- und Videoaufnahmen bei Drehaufnahmen zur Verfügung stellte. Hamburger Schulklassen texten und singen im Rahmen dieses Projektes eigene Lieder an hamburger Drehorten. Hier, aus 2013/14, das Lied "Mach das Licht an" der Klasse 6a aus der hamburger Stadtteilschule Süderelbe:

mehr tolle Lieder von "Projekt Superklasse" kann man bei youtube auf dem Kanal MrQ59 wo hamburger Schulkinder eigenen Texte aus ihrer Erlebniswelt interpretieren.

Kommentare

1. Am Dienstag, 1 Mai, 2018, 21:19 von Airdrie Ca

Ich bin sehr an Geschichte interessiert und deshalb freut es mich,wieder einmal einen guten Bericht über unsere nähere Heimat zu bekommen. Dieser wunderbare Bericht gibt uns allen einen Blick in die Vergangenheit, in der Gestaltungkraft, Leistung und zunkunftsorienierte Handlungsweisen die entscheidenden Werte waren. Diesen Ahnen verdanken wir auch unseren heutigen Leistungsstand, der vor allem im Ausland noch hoch eingeschätzt wird. Möge dieser Beitrag dazu helfen, dass unsere Alten und Jugend erkennen, dass das Gute zu bewahren ist und für die Zukunft erhalten werden muß.Das sogenannte Moderne wird nur dann gut, wenn es unseren Werten Nutzen bringt

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